Es gibt einen gravierenden Mangel an Arbeitskräften. Gleichzeitig spricht der Zeitgeist für mehr Freizeit. Nehmen wir diese Entwicklungen zusammen – steuern Arbeitgeber bzw. wir als Gesellschaft da nicht auf ein riesengroßes Problem zu? Immerhin sollen bis 2035 laut Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung allein in Deutschland sieben Millionen Fachkräfte fehlen.
„Wir sind die Agentur für Arbeit, nicht für Freizeit”, sagte Andrea Nahles kürzlich und machte sich dabei wahrscheinlich bei vielen unbeliebt. Weniger Arbeit, mehr Freizeit, das ist doch der Zeitgeist. Klar, Unternehmen loten bereits Wege aus, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken: unter anderem durch Automatisierung, Zuwanderung, bessere Strukturen für Frauen. Zweifelhaft ist, ob das ausreicht.
(Warum) Hat Arbeit einen schlechten Ruf?
Hat Arbeit zu viel Negatives angerichtet? Burnout, Erschöpfung, “Sunday Anxiety”? Oder warum heißt Work-Life-Balance für viele, Arbeit so gut es geht zu vermeiden. In den USA preisen junge Menschen vor allem auf TikTok den “Bare Minimum Monday”. Er sieht nur zwei Stunden Arbeit vor – man solle die Woche ruhig angehen lassen. Er löst quasi einen anderen Produktivitätstrend ab: das “Miracle-Morning-Prinzip”. Dabei ging es darum, eine Stunde früher aufzustehen und produktiv in den Tag zu starten (auch bekannt unter dem Begrfiff “5 am club”).
Work-life-balance IST wichtig, genauso wie gesunde Arbeitsstrukturen. Was beispielsweise Gesundheitspersonal, alleinerziehende Mütter oder Menschen, die mehrere Jobs jonglieren, um ihre Miete zahlen oder ihre Familie versorgen zu können, arbeiten, ist zweifelsohne zu viel. Doch die Kritik kommt gar nicht aus dieser Ecke, sondern aus den Reihen der Elite, der Akademiker.
Arbeit war früher mehr
Im Vergleich zu früher ist die durchschnittliche Arbeitszeit bereits gesunken. Bis Anfang des 20. Jahrhunderts war ein Arbeitstag mit elf Stunden typisch – zumeist bei einer Sechs-Tage-Woche. Die Fünf-Tage-Woche erkämpfte der Deutsche Gewerkschaftsbund in den 50er Jahren; ab 1965 wurde sie durchgesetzt. Ist es das Aufwachsen in relativ stabilen Verhältnissen, das jüngeren Talenten erlaubt, Arbeit in Frage zu stellen? Oder die Tatsache, dass Arbeitgeber bereit sind, so ziemlich alles zu bieten, einfach um Fachkräfte zu bekommen oder zu halten?
Arbeit als gesellschaftliche Aufgabe
Was, wenn wir jetzt jede Arbeitskraft brauchen, um die gesellschaftliche Herausforderung des Fachkräftemangels in den Griff zu bekommen? Überspitzt formuliert: Steht das Bedürfnis des Einzelnen, mehr Freizeit zu haben, über den Anforderungen der Gesellschaft?
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