Podcast Episode: Ana-Cristina Grohnert, warum ist Vielfalt ein wirtschaftlicher Erfolgsfaktor?

Porträt von Ana-Cristina Grohnert, Top-Managerin und Vorstandsvorsitzende der "Charta der Vielfalt"

Mit Jörg Schleburg und Dr. Simon Mamerow

“Wenn 10 Leute zusammensitzen, die gleich denken, hast du schnell eine Lösung. Wenn 10 Leute zusammensitzen, die unterschiedlich denken, hast du im besten Fall 10 Lösungen.”

Ana-Cristina Grohnert setzt sich seit über 15 Jahren für Diversity ein. Sie ist im Vorstand der Charta der Vielfalt und versammelt 30 Jahre Erfahrung in großen Konzernen, darunter als Personalvorständin bei der Allianz und Partnerin bei EY. 2021 gründete sie ein eigenes Beratungsunternehmen.

Wir sind stolz, die Top-Managerin und eine der einflussreichsten Frauen der deutschen Wirtschaft als ersten Podcast-Gast zu begrüßen. Sie teilt ihre Erfahrung, ihr Wissen und ihre Weitsicht mit uns.

Vielfalt ist komplex. Die Welt da draußen auch. Genau deshalb brauchen wir sie. Gute Lösungen finden wir nur, wenn wir mit vielen Perspektiven an Aufgaben herangehen.

Vielfalt ist also ein wirtschaftlicher Erfolgsfaktor.
Wie können Organisationen Vielfalt strukturell und im Arbeitsalltag verankern? Lässt sich Vielfalt top-down verordnen oder entsteht sie eher bottom-up? Müssen Organisationen überhaupt mehr als das gesetzlich Verpflichtende tun?

Antworten auf diese Fragen (und mehr) gibt Ana-Cristina Grohnert im Gespräch mit Jörg Schleburg und Dr. Simon Mamerow.

ZU HÖREN:
Jörg Schleburg, Dr. Simon Mamerow & Ana-Cristina Grohnert

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POWERED BY
VonVorteil – Die Employer Branding Agentur.
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SPRECHERIN
Franziska Ball
www.franziskaball.de

EDIT, MIXDOWN & MASTERING
www.klangkantine.de

 

 

Hier das komplette Interview (als Transkript) zum Nachlesen:

 

Herzlich willkommen bei scharf & sinnig. Entscheidendes für Entscheider mit Jörg Schleburg und Dr. Simon Mamerow.

In der heutigen Episode sprechen wir über und mit Anna-Cristina Grohnert. Sie war Allianz Personalvorständin, Mitglied der Geschäftsführung bei EY, hat eine eigene Beratungsgesellschaft und ist Vorstandsvorsitzende der Charta für Vielfalt. Frau Grohnert, warum ist Diversität in Zeiten von Komplexität so geschäftsrelevant? Welche Aufgaben haben wir als diverse Gesellschaft noch vor uns? Wir werden es herausfinden, jetzt und hier bei scharf & sinnig. 

Jörg: Liebe Hörerinnen, liebe Hörer, lieber Simon, heute ist eine ganz besondere Folge. Nicht nur, weil wir über ein ganz besonderes Thema sprechen, sondern auch, weil wir mit einem ganz besonderen Menschen sprechen dürfen. Denn wir dürfen zum ersten Mal einen Gast, in dem Fall eine Gästin, in unserem Podcast begrüßen. Liebe Anna-Cristina, es ist uns eine Ehre. Schön, dass Du da bist. Herzlich willkommen!

Anna-Cristina: Herzlich Dank, dass ich dabei sein darf bei dieser Premiere. Das ist auch für mich eine Ehre. 

Jörg: Das freut uns. Es gibt bzw. es gab einen bestimmten Anlass, warum wir dich eingeladen haben. Wir haben heute den 25. Mai und vor zwei Tagen, am 23. Mai, war der Deutsche Diversity Tag – ein ganz wichtiger Anlass. Aber ich glaube, Christina, wir sind uns einig: Es reicht nicht, nur an diesem einen Tag über Diversity nachzudenken, oder?

Anna-Cristina: Nein, absolut nicht. Es ist auch schon der elfte Diversity Tag. Es ist die Community, die zusammenkommt und dann noch mal ein Zeichen setzt für Vielfalt. Wir halten die Flagge für Vielfalt hoch. Die Community arbeitet in den Unternehmen und in der Gesellschaft 365 Tage an dem Thema Vielfalt und Inklusion.

Jörg: Wie lange arbeitest du schon an dem Thema?

Anna-Cristina: Oh je, sehr, sehr, sehr lange. Ich würde sagen, meine erste Berührung war so vor 15 Jahren, um das Thema in der Organisationsentwicklung einfach auch auf die Agenda zu heben und über inklusives Leadership und Diversity zu reden. Als ich in die Geschäftsleitung von EY gekommen bin, das war kurz nach der Finanzkrise. Also es ist schon sehr, sehr lange her. Ich bin auch schon zehn Jahre Vorstandsvorsitzende der Charta der Vielfalt. Also insofern gehöre ich, glaube ich, wirklich zu den ersten, die das Thema auf die Agenda gehoben haben.

Jörg: Absolut. Das macht uns auch so stolz, dass du heute da bist. Gab es eine bewusste Entscheidung oder vielleicht sogar ein Erlebnis, das dazu geführt hat, dass du dich dem Thema noch mehr widmen möchtest oder überhaupt widmen möchtest?

Anna-Cristina: Das ist schon eine persönliche Geschichte. Ich habe ja sozusagen schon über 30 Jahre Karriere in unterschiedlichsten Unternehmen erlebt. Ich habe in unterschiedlichen Unternehmen mit ganz unterschiedlichen Kulturen ziemlich viel erlebt. Wenn man sich integriert in eine neue Kultur, kommen alle mit offenen Armen und sagen: Klasse, da kommt wer Neues, die will was verändern und gemeinsam sind wir stärker. Dann gibt es auch die, die festhalten an dem, was da ist und einen nicht so mit offenen Armen begrüßen. All das habe ich persönlich erlebt. Ich habe viele Menschen gesehen, die nicht gehört wurden, obwohl sie tolle Sachen sagen wollten, weil einfach ein kleiner Kreis von Menschen diese Ingroup-Outgroup-Dynamik etabliert hat. Die stehen zusammen und haben ihre Talks und lassen einen nicht wirklich rein. Ich habe auch beobachtet, wie aufgeregt Menschen waren, um eine Präsentation zu halten, wie dann nicht richtig zugehört wird, obwohl da ganz viel tolles Neues entwickelt worden ist. Innovationskraft ist zuhören. Insofern haben sich all diese kleinen Erlebnisse zusammengesponnen. Und als ich dann endlich in der Geschäftsleitung war und die Power hatte, auch etwas zu verändern, habe ich da natürlich drauf gesetzt. Egal, woher jemand kommt und was er für Erfahrungen hat, den Perspektivenwechsel auch persönlich zu machen, damit hat es eigentlich angefangen.

Jörg: Schön. Innovationskraft ist zuhören, hast du gesagt. Toller Satz. Du bist Vorstandsvorsitzende der Charta der Vielfalt, du warst bei EY, du hast jetzt ein eigenes Beratungsunternehmen. Du hast sehr viele, hattest sehr viele Hüte auf, immer noch. In welcher Rolle konntest du bisher am meisten bewegen, was das Thema Diversity Vielfalt betrifft?

Anna-Cristina: Also ich denke in der Transformationsrolle für EY, das war schon toll. Also zehn Jahre von diesem sehr Shareholder orientierten zum Stakeholder Orientierten zu gehen. Also, mehr gemeinsam zu arbeiten an Problemlösungen und da auch eine Organisationsentwicklung dahinter zu setzen. Da konnte ich die eigene Organisation ein bisschen transformieren, mehr zum Enabler werden für EY. Da ist sehr viel entstanden, was ich dann tatsächlich auch anwenden konnte an Instrumenten. Diversity und Inklusion ist ja eine Reise, wo man sehr viele Instrumente ausprobieren darf und dann nachher feststellt, dass es ein Portfolio sein darf, das ziemlich viele Instrumente beinhaltet und man dann immer noch Richtung Mindset Change gehen muss. Und dann habe ich mir natürlich auch externe Hilfe gesucht. Wir haben dann die Charta der Vielfalt gegründet und in der Rolle durfte ich mehrere Unternehmen zusammenbringen, die sich austauschen über das Thema. Das waren am Anfang vier Dax-Unternehmen, die das gegründet haben. Jetzt sind es fünfeinhalb tausend Unternehmen, die die Charta unterzeichnet haben. Und sie vertritt jetzt schon 40 % aller Arbeitnehmenden in Deutschland. Das ist natürlich eine Power Position gewesen, das Thema viel höher zu hängen und dann natürlich auch mit so vielen Unternehmen zusammenzuarbeiten. Die meisten sind auch intrinsisch motiviert und sagen: Ausgrenzung darf nicht passieren, wir müssen gemeinsam Lösungen entwickeln.

Jörg: Hier würde ich gerne mal einhaken. Gab es ein AHA-Erlebnis, wo du beschlossen hast: Ich glaube, ich beschäftige mich mit dem Thema mal, also das interessiert mich jetzt, da gebe ich jetzt auch einen Teil meiner Lebenszeit rein. 

Anna-Cristina:  Ja, das kann man so sagen. Also die Charta der Vielfalt ist ein Ehrenamt. Das habe ich immer parallel gemacht, also parallel zu meinen Rollen als Geschäftsleiterin und mache es ja auch immer noch parallel zu allen anderen Rollen. Es hat damit angefangen, dass ich zu EY kam und dieses klassische Frauennetzwerk da war, das irgendwie noch nicht so die Kraft entwickelt hatte. Was aber notwendig gewesen wäre, um das Thema wirklich auf die Agenda zu bringen. Und als neue Partnerin hat man mir natürlich ziemlich schnell angedient, da eben auch Kraft mit reinzubringen. Und da habe ich gleich gesagt, es geht hier nicht nur um das Thema Frauen und Männer. Es geht nicht nur darum, ein Frauennetzwerk zu gründen, sondern es geht wirklich um alles, was dahinter liegt. Also diese Kraft, diese Energie. Wenn Menschen zusammen arbeiten und unterschiedliche Perspektiven haben, unterschiedliche Erfahrungen wirklich freizusetzen. Und da habe ich ziemlich schnell aus dem Frauennetzwerk ein Vielfaltsnetzwerk gemacht und habe gesagt: Wer sind denn die unterschiedlichen Menschen, die sich gerne miteinander unterhalten über ihre persönlichen Herausforderungen? Also es waren sehr viele Menschen, die Pflegeverantwortung hatten. Es gab dann ein LGBTQ-Netzwerk, das sich gegründet hat. Es hat sich ein Väternetzwerk gegründet und ich konnte das alles unterstützen aus meiner Position heraus. Und so haben sich dann in der Organisation immer mehr Gruppen gefunden, die sich darüber unterhalten haben, was sie persönlich für Herausforderungen haben, wenn sie ins Unternehmen kommen, was ihre private Perspektive anbelangt und ob sie willkommen geheißen werden so wie sie sind, welche Hintergründe sie haben, welche Erfahrungen sie haben. So haben wir dann sozusagen den Umbrella über das Thema Vielfalt  gemacht und dann alle Netzwerke sich miteinander austauschen lassen.

Und dann sieht man ziemlich schnell, dass es ähnliche Erfahrungen sind. Dass, wenn man ins Unternehmen kommt, man als Person insgesamt anerkannt werden möchte. Und dass es Barrieren gibt in den Unternehmen, weil ein anderer Standard vorher in der Unternehmenskultur vorhanden war. Das war der Standard von Menschen, die sich alle sehr ähnlich waren, das war der Startpunkt. Und dann kam das Thema von international in den deutschen Markt und dann haben alle angefangen, darüber nachzudenken: Was heißt eigentlich Diversity? Da gab es das Thema Inklusion noch gar nicht. So, und dann haben wir alle darüber angefangen zu sprechen. Und so ist es dann zu diesem Thema geworden, das eigentlich die Unternehmenskultur bestimmen muss, um wie schon gesagt, Innovation zu ermöglichen, Lösungen zu finden, die mal anders sind und Optionen auch zu kreieren. Wenn zehn Leute zusammen sitzen, die alle gleich denken, dann hast du ganz schnell eine Lösung. Aber wenn sie unterschiedlich denken, hast du vielleicht zehn Lösungen oder vielleicht fünf Lösungen. Und das ist ja, was Wirtschaft ausmacht, dass du Optionen hast, auf Märkte zu reagieren. Dass du nicht schnell mit einer Lösung kommst, die vielleicht an deinen Kunden vorbeigehen, an deiner Mitarbeiterschaft vorbeigehen und du dann diese Veränderungsgeschwindigkeit gar nicht mitgehen kannst.

Ich glaube, das andere ist – das hat mit der Finanzkrise begonnen –, dass wir alle leicht überfordert waren über diese Veränderungsgeschwindigkeit. Ich glaube, da haben wir angefangen zu sagen: Wow, also die Lösungen von gestern sind auf gar keinen Fall die Lösungen von morgen. Wir müssen neu entwickeln, wir müssen auf die Komplexität da draußen reagieren. Es hat ständig neue Themen gegeben. Wir sprechen seitdem über Digitalisierung, wir sprechen über Klimawandel, wir sprechen jetzt über geopolitische Risiken. Das ist eine massive Komplexität, die da draußen ist, die auf die Wirtschaft einströmt. Und die Wirtschaft muss darauf reagieren. Und wie kannst du am besten darauf reagieren, wenn du möglichst viele Perspektiven an den Tisch bringst? Dann kommt wieder das Thema Viele Perspektiven. Da fängt man an, sich zu streiten, und es gibt so viele unterschiedliche Möglichkeiten. Ist das nicht schwierig? Es darf nicht schwierig sein, sondern es muss Energie freisetzen. Und das kriegst du nur hin, wenn du eine Kultur hast, die zuhört. Das nennen wir dann “inclusive leadership”. Und wenn du Teilhabe und und Partizipation, wenn wir das immer wirklich in den Mittelpunkt stellen, dann fängt das Thema an wirklich zu einer Energie zu werden, die eine veränderungsfähige Organisation kreiert.

Jörg: Also sozusagen ernst gemeinte Kommunikation. Nicht einfach nur Kommunikation zu senden, sondern eine, die auch Austausch fördert, meinst du?

Anna-Cristina: Ja, Austausch. Das ist genau das richtige Wort. Aber bei Austausch haben wir auf so bekannte Qualitäten bei Mitarbeitenden gesetzt: Erfahrungen, Lebensläufe, die waren alle immer sehr ähnlich. Ich habe mit so vielen Leuten gesprochen, als ich das Recruiting übernommen habe, habe gesagt: Ach, das brauchen wir alles nicht und so ist es doch. Ich meine, ich weiß, wie man einstellt. Ja, da hat jemand eine Zwei in Mathe, Englisch, Deutsch, im Abitur, der hat an der Universität studiert. Den Prof kenne ich noch, da weiß ich schon erfolgreich so und und klar, dann reden die Menschen miteinander in der gleichen Sprache. Und diesen Menschen beizubringen, dass es viel mehr Spaß bringt, eine andere Perspektive zu hören, eine andere internationale Erfahrung mit einzubringen oder eine andere Lebenserfahrung mit einzubringen und dann durch diese Energie auch selber was dazu zu lernen. Das ist der Punkt, wo wir hinkommen müssten und das ist Austausch. 

Simon: Das kann ich aus der Praxis bestätigen. So war das beim Career Service der Universitäten. Da hat man tatsächlich vorgeschlagen bekommen, welche Vertiefung man nehmen soll, um dann zu sehen, welche Karriere man bei welchem Unternehmen machen kann. Da war schon vollkommen klar, was ich zu wählen habe, damit ich quasi welches Berufsprofil haben werde. 

Anna-Cristina: Das ist auch genau das Thema. Als ich angefangen habe, haben sie mich immer gefragt: Wo willst du in fünf Jahren sein? Ich hatte immer ein bisschen Schwierigkeiten, die Antwort zu geben. Ha dann gesagt, ich will spannende Projekte machen, ich will tolle Leute kennenlernen, ich will Gelegenheiten wahrnehmen, die sich mir auf diesem Weg bieten. Das war noch die Zeit der Kaminkarriere. Erst werde ich Gruppenleiter, dann Teamleiter, dann Abteilungsleiter, dann Bereichsleiter und immer in dieser gleichen Schiene. Das hat mich nie interessiert, weil ich gesagt habe: Ich will die Projekte haben, die am meisten Komplexität haben, am meisten spannende Leute, hohen Internationalisierungsgrad; ich will mit Leuten zusammen an Lösungen arbeiten.

Jörg: Das ist ein spannendes Thema, wo ich auch noch mal einhaken würde: An Lösungen arbeiten. Es gibt immer verschiedene Ebenen. Wenn ich sage, ich bin ein Unternehmen und ich möchte mich da einbringen, überlege, was ich tun kann. Was würdest du sagen, kann man auf den drei Ebenen – strategisch, taktisch und operativ – machen? Was sind so Elemente, die man einbringen kann? Was würdest du so empfehlen, wenn man darüber nachdenkt? Wenn man jetzt noch nicht so richtig weiß, was man tun kann?

Anna-Cristina: Na naja, erstmal muss man sich im Unternehmen umschauen. Wie sind wir aufgestellt? Was haben wir denn für eine Kultur? Reden wir miteinander? Kommunizieren wir? Holen wir Menschen ab? Wie vielfältig sind wir aufgestellt? Da muss man schon mal einen ehrlichen Blick auch in die Führungsebene werfen und sagen: Sind bei uns auch unterschiedliche Mindsets vertreten? Also haben wir die, die mehr auch introvertiert sind, die wir vielleicht nicht hören, aber die super klasse Ideen haben. Kommen wir alle aus einer Universität oder haben wir auch andere Erfahrungen im Raum? Und dieser ehrliche Blick sozusagen in den eigenen Raum ist, glaube ich, immer der Anfang. Und dann sich jemanden rein zu holen, um es einfach auch zu verstehen. Das Thema ist ja auch komplex und auch unser Gespräch wieder. Da hören dann Leute zu und sagen so nach dem Motto ja, ist ja alles schön und gut, aber geht es nicht auch einfacher? Dann sage ich: Sorry, das ist schon eine ziemliche Reise, die man machen muss. Und da muss man eine strategische Sitzung machen, wenn man überzeugt davon ist, dass man Vielfalt im Unternehmen haben möchte und diese Energie, diese Freisetzung für lösungsorientiertes Arbeiten und Innovation freisetzen möchte. Da muss man halt ehrlich sagen, okay, vielleicht brauchen wir andere Menschen hier oder wir haben Menschen, denen wir bisher nicht zugehört haben oder denen wir die Möglichkeit nicht gegeben haben, dann da zu sein, wenn spannende Projekte passieren und dann wird sehr operativ.

Also ich habe immer angefangen mit dem klassischen Personalcontrolling. Ich habe mir angeguckt, wie sind die Teamzusammensetzung, also viel auch mit Mitarbeiterbefragungen gearbeitet. Wie gefällt dir dein Vorgesetzter? Fühlst du dich wahrgenommen? Was hast du für persönliche Herausforderungen? Was ich noch erlebt habe, bei Einladungen zu Abendveranstaltungen. Da hieß es: Sehr geehrter Herr Grohnert, bringen Sie Ihre Frau mit. Einfach, weil keiner darüber nachgedacht hat, dass es auch andere Lebensmodelle gibt. Die kamen gar nicht vor in der Sprache. Also da kann man einfach mal ganz operativ in die eigene Dokumentation und in die eigene Kommunikation gucken. Und dann kommen die ganzen Instrumente, wo man sieht, wenn man im Personalcontrolling eine Gruppe Menschen verliert. Das haben wir damals ziemlich schnell erkannt, dass ab einer bestimmten Karrierelevel ziemlich viele Frauen aus dem Unternehmen ausscheiden. Immer dann, wenn sie sozusagen Familie gründen und sich dann nicht trauen zurückzukommen.

Und dann haben sich alle gewundert, so nach dem Motto: Die wollen einfach nicht Karriere machen. Oder die schaffen das auch nicht. Es gilt dann die Instrumente zu verändern, indem man sagt, man bleibt im Kontakt mit denjenigen, die ausscheiden, man redet weiter, bleibt im Kontakt.

Wir möchten, dass die Führungskraft weiter konstant mit denen kommuniziert, dass sie Zugänge zu unserer Kommunikation haben, dass sie auch die Möglichkeit haben, virtuelles Learning zu machen, während sie vielleicht gerade nicht arbeiten können. Und da ist dieses ganze New Work Thema entstanden, flexibel zu arbeiten. Wie oft musste ich mit Leuten diskutieren, dass sie sagten, also bei mir ist Teilzeit nicht möglich und dann sage ich ja, schlechte Nachricht, steht im Gesetz, wir haben ein Recht auf Teilzeit. Also vielleicht beschäftigen wir uns erstmal damit, was wir denn wollen. Können wir möglichst maximale Flexibilisierung der Arbeitszeit schaffen oder kann jemand von zu Hause arbeiten und das ist jetzt schon 15 zehn Jahre her, dass wir das angefangen haben. Und dann entwickelt man einfach neue Konzepte der Lebensarbeitszeit.

Leute arbeiten auf Projekten und haben dann wieder drei Monate Zeit usw. und so fort. Diese ganzen New Work Instrumente sind dann entstanden. Also das ist sehr operativ. Man guckt sich seine Workforce an, wie entwickelt sich das, wie befördern wir, wie bezahlen wir auf den unterschiedlichen Levels? Haben wir ein Gender Pay Gap? All diese kleinen Dinge und dann bewusstes Ändern. Und sehr, sehr viel ist Kommunikation. Wenn man das alles geschafft hat, dann kommt das Außenbild. Was sind wir eigentlich? Wie stellen wir eigentlich ein? Stellen wir eigentlich wirklich paritätisch ein? Oder wenn man in einem Unternehmen arbeitet, wo man sagt: Also es gibt gar nicht so viele ITlerinnen oder es gibt nicht so viele Ingenieurinnen. Dann setzt man sich einfach Ziele, in dem Markt, der da ist, das Maximale zu erreichen, der attraktivste Arbeitgeber zu sein. Oder sagt man einfach, sie gibt es nicht, deshalb holen wir sie nicht? Das nächste Thema: Wie rekrutiere ich, wie mache ich mich attraktiv? Auch mit diesen ganzen Flexibilisierungsinstrumenten, mit der modernen Arbeitskultur. Und gehe ich dahin, wo sie sind? Oder warte ich einfach, dass sie zu mir kommen? Also dann kommt diese ganze Außenwahrnehmung, was wir Employer Branding Arbeitgeberattraktivität nennen. Setze ich auf Potenzial oder setze ich eben auf das, was wir STANDARD nennen? Also, wie wir eben schon gesagt haben: Deutsche Schule, deutsches Abitur, Köln, Mannheim, Kiel, das sind die Universitäten oder LMU.

Ich will jetzt niemanden vergessen, ich gehe raus und gucke in das gesamte arbeitnehmende Potenzial, das ich habe. Nicht nur national, sondern auch international. Und deshalb sage ich: Sorry, es ist kein Projekt, das ich abhaken kann, sondern es fängt an, dass ich genau hinschaue. Wie stelle ich mich auf? Habe ich die Instrumente, dass ich attraktiv bin? Und wenn ich dann sozusagen attraktiv bin, bin ich auch da, wo das Potenzial ist? Und bin ich bereit, auch anderen Menschen eine Chance zu geben, die ich vorher vielleicht gar nicht gesehen habe? Und dann fängt man natürlich an, über Dimensionen nachzudenken. Also wir haben ganz tolle Erfahrungen gemacht mit Industrie und Handelskammer, die sich des Themas angenommen haben in Zeiten des Arbeitskräftemangels. Was natürlich jetzt auch wieder ein ganz großes Thema ist. Wobei wir hier wissen, dass das seit 15 Jahren berechenbar ist. Die Demografie ist eine ziemlich einfache Berechnungsmethode. Da hätte man schon vorher drauf kommen können, dass es irgendwann eng wird. Aber wenn es dann so ist, gucke ich hin, dass ich für Menschen, die vielleicht vorher nicht in Arbeit gekommen sind, neue Ausbildungswege kreiere. Gucke hin, dass Menschen, die in Deutschland Arbeit suchen und vielleicht die Sprache noch nicht können oder gar nicht das Bewusstsein haben, was eine Ausbildung ist, die Möglichkeit bekommen, durch Praktika, durch Arbeitserfahrung etc. Dann muss man natürlich seine eigenen Recruiter, seine eigenen Ausbilder auch trainieren, dass man dann Erfahrungen macht, die anders sind, als die, die sie vorher gehabt haben.

Dann kommt das ganze Thema Zuhören, Perspektivwechsel, Lernen. 2015 hatten wir einen ganz großen Flüchtlingsstrom und da haben viele die Erfahrung gemacht, dass die Leute gekommen sind und ganz stolz waren, dass sie arbeiten konnten, aber dann am dritten Tag nicht mehr kamen. Und dann waren die Ausbilder beleidigt. Ich habe mir doch so viel Mühe gegeben, um dann zu lernen, dass da jemand nach Hause gegangen ist und gesagt hat, mit dem Ausbildungsgehalt kann ich meine Familie nicht ernähren. Das waren ganz einfache Themen und wenn man sich dessen bewusst ist, kann man auch an Lösungen arbeiten, den Menschen helfen und sie integrieren, also das gesamte Potenzial an Arbeitnehmenden betrachten. Das ist alles Vielfalt und Inklusionskultur und Integrationskultur. Und deshalb gibt es da leider keine einfache Antwort. Und es geht noch weiter. Aber ich gebe euch die Gelegenheit, mich das zu fragen.

Jörg: Es ist so schön, man wirft so einen kleinen Brocken hin und dann kommt da richtig eine Flut entgegen. Unheimlich interessant.

Du hattest ganz am Anfang mal gesagt, man sollte sich dann jemand reinholen, der sich ein bisschen auskennt in dem Thema. Wen holt man sich da rein?

Anna-Cristina: Das kommt darauf an, wo man ist, in welcher Position man gerade auf dieser Reise ist. Also meistens entsteht das Bedürfnis, darüber zu reden. Bottom up, da gibt es Menschen, die davon gehört haben, gesagt haben: Hey, Mensch, wir haben vielleicht noch ein paar Warriors, die könnten wir mal abbauen, dann tun sie sich zusammen in Netzwerken oder es kommt von der Arbeitnehmervertretung. Oder es kommt von jungen Leuten, die sagen: Also, in dieser Kultur will ich nicht mehr arbeiten, die gehen schnell wieder und dann wundert man sich. Meistens kommt es bottom up. Tatsächlich ist es aber ein Programm, das top down gemanagt werden muss. Und deshalb sage ich, ist das Erste, was man machen muss, die Geschäftsleitung zusammenzuholen und sich jemanden reinzuholen, der dann eben auch auf dem Niveau der Geschäftsleitung diskutieren kann. Also entweder von anderen Unternehmen, Geschäftsführern, die erfolgreich gewesen sind, oder Leute, die in Netzwerken wie meinen arbeiten, von denen man gehört hat. Die können einfach mal einen Workshop machen, können darüber sprechen, wo wir sind. Ich werde wahnsinnig viel eingeladen, eben auch Workshops mit der Geschäftsleitung zu machen oder Calls mit den HR Abteilungen oder ähnlichen, die genau diese Frage haben: Wie starte ich? Und es muss gewollt sein und man muss es strategisch verankern. Also wir sprechen jetzt noch gar nicht von der Regulatorik, die da auf einen zurollt, jetzt mit der CSRD-Richtlinie usw. und so fort. Diversity ist ein Riesenthema, wo einfach gefordert wird, dass man es strategisch verankert, dass man sich Ziele setzt, dass man Projekte macht und dass man diese Ziele auch erreicht und dass man darüber reporten muss. Das kommt jetzt. Aber in den letzten 15 Jahren sind ja schon andere auf die Idee gekommen, das zu implementieren und die haben meistens top down angefangen.

Simon: Ich erinnere mich. Ich war sehr lange bei Greenpeace und ich weiß noch im Jahr 2015/16, da kamen die ersten Studien aus den USA und aus Großbritannien zu den Quasifaktoren der Arbeitgeberwahl. Was ist denn mit Diversity? Da war völlige Ratlosigkeit bei den Statistikern. Wie soll man das denn messen? Also was soll das überhaupt sein? Das war schon irgendwie klar. Aber wie bringen wir das in dieses Konstrukt rein? Wie machen wir das messbar? Und tatsächlich war die Forderung  insbesondere der angelsächsischen Konzerne, Ihr müsst das machen, weil sonst kann ich nicht mit euch zusammenarbeiten. Also musste es gemacht werden und deswegen wurde das ganze Konzept umgestellt. Aus Deutschland war es zu dem Zeitpunkt noch gar nicht gefordert, also dass das irgendwie relevant wäre, dass es gemessen werden muss. Natürlich gab es schon solche Dinge, aber ich weiß noch, diese Forderung war ganz klar: Wenn ihr das nicht macht, haben wir ein Problem auf internationaler Ebene und deswegen musste das gemacht werden. 

Anna-Cristina: Du hast völlig recht. Es kam dann noch mal über den Kapitalmarkt. Jetzt sind in den Ratingagenturen die Fragen klar: Was macht ihr im Bereich Diversity, wo steht ihr? Meistens haben die Unternehmen aber mit den ersten zwei Führungsebenen oder drei Führungsebenen und der Genderquoten geantwortet. Jetzt wird das anders sein. 

Es kam auch mit dem AGG, dem Allgemeinen Gleichstellungsgesetz, mit den Dimensionen von Vielfalt, die definiert wurden. Es wurde gesagt, wir wollen eine freiwillige Selbstverpflichtung. Dadurch ist die Charta der Vielfalt entstanden, also dass man tatsächlich unterzeichnet, dass man eine inklusive Workforce Kultur kreiert und dass man darauf achtet, dass keine Diskriminierung stattfindet. Das kam noch mal aus der Regulatorik. Also es kommt immer ein Schub entweder aus der Regulatorik, aus den Ratingagenturen und jetzt wie gesagt, noch mal mit CSRD, das das noch mal ordentlich beflügelt.

Jörg: Jetzt hast du ja viel Erfahrung, auf Geschäftsführerebene mit Workshops Impulse zu setzen. Was glaubst du, ist der wichtigste Impuls? Was muss verstanden werden, dass so ein Aha-Erlebnis eintritt? Es ist ja auch ein wichtiger Wirtschaftsfaktor, dient der Wertschöpfung, dann werden schon mal Hebel in Gang gesetzt.

Anna-Cristina: Ja, das kommt ein bisschen darauf an, wen man gegenüber hat. Also intrinsisch motivierte Menschen kann man ziemlich schnell davon überzeugen, dass es ein Wirtschaftsfaktor ist. Und gerade in den letzten Jahren, wo wir eine höhere Fluktuation sehen und eben Arbeitgeberattraktivität auch davon abhängig ist, was für eine Kultur ich habe. Studierende fragen: Wie divers ist euer Unternehmen aufgestellt? Lebt ihr inclusive Leadership? Habt ihr ein Global Mindset? Das sind eigentlich die Punkte, die dann bei den intrinsisch motivierten Menschen sehr schnell zu verstehen sind. Bei anderen sind es einfach Zahlen, Daten, Fakten. Da haben wir eben darüber gesprochen. Regulatorik. Da kommt ihr nicht dran vorbei. Quote ist gekommen, da seid ihr nicht dran vorbei gekommen. Und das dritte ist der Produktivitätsfaktor. Also tatsächlich, wenn ich Menschen einstelle, die mich schnell verlassen, das kostet einfach auch wahnsinnig viel Geld. Die bilde ich aus, die gehen schnell wieder. Da kann ich mich lange beschweren, dass die neue Generation irgendwie so flatterhaft ist und kommt und geht. Oder ich kümmere mich darum, dass ich denen etwas biete, wo sie auch gerne bleiben wollen. Also dieses ganze Thema Retention ist ein Riesenthema, jetzt gerade in der Kombination mit Arbeitskräftemangel. Es ist leider so, dass dieses Erklären, dass Vielfalt Energie freisetzt und Innovationskraft sozusagen fördert ist, nicht so einfach verständlich ist.

Wenn ich jemand bin, der schnell Quartalsergebnisse präsentieren will, dann ist mir das zu komplex. Ich denke, dass wir jetzt inzwischen da sind, wo ziemlich viele Unternehmenslenker verstanden haben, dass die Kombination aus Arbeitgeberattraktivität,  Arbeitgebende behalten und Komplexitätsgrad der Herausforderung, die drei Gründe sind, warum sie sagen: Okay, ich verstehe, wenn ich komplexe Herausforderungen im Markt habe und da kommt man ja nun wirklich nicht dran vorbei, dann brauche ich auch eine Workforce, die diese Komplexität beherrscht. Und das funktioniert nicht mehr. Das kann nicht einer alleine. Da sieht man dann ziemlich schnell, dass wenn ich ziemlich viel Intelligenz aus unterschiedlichen Perspektiven an den Tisch bringe, habe ich diese Option. Und wenn ich Optionen habe, dann bin ich schlagkräftiger. Dann habe ich meinen Kunden zugehört und dann habe ich die Märkte verstanden. Und es geht ja auch um Resilienz und und es geht immer um die Lernfähigkeit einer Organisation.

Das ist ein Punkt, den wir irgendwann viel später erkannt haben, dass die Organisation dann lernfähig ist, wenn sie sich aus der Komfortzone bewegt, so wie das Individuum. Wenn ich mich öffne für was Neues, dann fange ich an zu lernen. Das ist manchmal ein sehr schmerzhafter Prozess, weil ich erstmal einsehen muss, dass ich nicht alles weiß, was natürlich so ist. Auch Führungskräfte, die schon geschlagene Expertise haben. Es ist auch manchmal ein bisschen schwer, dass man sagt, diese Expertise reicht jetzt nicht mehr aus, ich muss weiter lernen. Das heißt, ich muss mir erst mal zugestehen, dass ich irgendwie nicht alles weiß. Die schlauen Leute sagen, ich kann nicht alles selbst lernen. Ich hole mir das, was andere gelernt haben, an den Tisch. Hör zu, verbinde das miteinander und habe dann, wie gesagt, neue Lösungen. Das ist der etwas komplexere Teil. Das zu verstehen, dass eine Komplexität der Fragestellung, eine Komplexität an unterschiedlichen Perspektiven gegenübergestellt werden muss. Das ist der Treiber für Innovation und für Wachstum, für nachhaltiges, gesundes Wachstum. Es wäre doch so schön einfach, wenn man das selber alles weiß und dann das einfach in den Markt bringt und das dann um Prozessoptimierung und Geschwindigkeit geht. Vorbei. Die Zeit ist vorbei.

Jörg: Das klingt ja erstmal im Prinzip doch sehr positiv, also auch gerade aus dem Lernbereich. Nun bin ich jetzt mal Advocatus Diaboli und sage: Du hast ja gesagt, da kommt ein Schub auf uns zu. Was kommt denn da auf uns zu? Wenn ich jetzt der Zauderer bin und sage, ich will das eigentlich alles lieber nicht, aber ich weiß, da kommt was. Was ist jetzt mit neuen Regelungen? Worauf müssen sich die Unternehmen einstellen?

Anna-Cristina: Du meinst die Regulatorik? Die CSRD-Berichtspflicht, die ich haben werde in der Zukunft? Human Capital war ja immer sozusagen Kostenfaktor und das Potenzial ist ja nicht so wirklich dargestellt, also quantitativ. Das verändert sich. Ich habe eine Berichtspflicht, also die Pflicht, über meine eigene Workforce bis hin zur Lieferkette und auch über die Community berichten. Das heißt also, wir haben die ESG Transformation, das kennen wir, jetzt kommt die CSRD und da ist das S und das G noch mal ein ganz wichtiger Faktor. Also Social und Governance. Und in den Vorgaben für Social ist ganz klar, dass ich eine Berichterstattung über meine eigene Workforce mache. Wie behandele ich sie? Decke ich inklusive Arbeitssicherheit all die Themen ab? Diversity ist ein großes Thema und wie gesagt, das Lieferketten-Sorgfaltsgesetz noch dazu. Wie behandele ich meine Zulieferer, meine Mitarbeitenden? Es geht nicht mehr so, dass man einfach unterschreiben kann, hier werden alle gut behandelt und das reicht. Man muss nachweisen, dass das tatsächlich auch so ist. Also man muss sich viel mehr mit seiner Lieferkette beschäftigen und da genau reingucken. Im Moment kannst du immer noch Ausschlusskriterien machen, keine Menschenrechtsverletzungen etc. pp. Keine Kinderarbeit. Aber in der neuen Richtlinie steht halt ganz genau drin, dass du auch da nachgucken musst, dich unterhalten musst mit den Unternehmen, die Zulieferer sind und dass du gemeinsam auch Lösungen finden musst. Also es muss strategisch verankert sein, man muss Projekte machen, man muss die Ziele setzen etc. pp. Und das geht dann über diese Ausschlusskriterien hinaus. Und das Dritte ist deine Verantwortung gegenüber der Community.

Also wir haben ja gesehen, dass es bei Klimarisiken zum Beispiel oder Klimakatastrophen, die passiert sind wie Chemieunfälle hieß: Sorry, schade, ist passiert. Das ist nicht mehr so! Wenn du richtig Schaden anrichtest, musst du auch das in die Berichterstattung mit aufnehmen. Und für die Community: Was tue ich für zukünftige Arbeitnehmende? Schaffe ich Bildungschancen? Engagiere ich mich sozial und ist alles minutiös runter dekliniert, setze ich mir auch da Ziele? Also du kannst jetzt zum Beispiel sagen, welche Development Goals stehen bei mir im Mittelpunkt und auch da kannst du dir strategische Ziele setzen, die zu deinem Unternehmen passen. Viele Financial Services Organisationen sagen: Wir setzen uns ein für die finanzielle Unabhängigkeit von Frauen, dass Bildung und Gleichstellung drin sind. Passt zu mir als Unternehmen. Ich schaffe Räume, wo ich Frauen die Möglichkeit gebe, Kleinstunternehmen zu kreieren und Mikrokredite. Finanziell unabhängig zu werden, das ist zum Beispiel ein Projekt, das du da machen kannst. Und dann sagst du: Ich will einen Impact haben. Z. B. Frauen in Afrika. Du setzt dir ein Ziel und musst dann nachweisen, welche Projekte du gemacht hast, um dieses Ziel zu erreichen. Und das wissen noch viele nicht. Die CSRD kommt jetzt rein und kommt in Schüben, je nachdem wie groß du bist als Unternehmen. Aber das ist der Rahmen in der EU und dadurch kommt noch mal dieser Schub, wo die Menschen sich einfach oder die Wirtschaft sich einfach Gedanken machen müssen. Welche soziale Verantwortung habe ich gegenüber meinen eigenen Unternehmen, denen in der Lieferkette und denen in meinen Communities?

Simon: Wenn ich dir so zuhöre, ist es doch genau der Punkt, dass man sagen muss, wenn man das für sein Unternehmen entwickeln will, da braucht man doch eigentlich auch die Vielfalt schon in der Innenperspektive, oder?

Anna-Critina: Absolut. Das ist das, was ich immer mit Komplexität meine. Also die Komplexität nimmt massiv zu und du brauchst Leute, die die beherrschen und das kannst du nur im Team und du kannst es nur mit Menschen, die auch ein Stück weit intrinsisch motiviert sind, das zum Leben zu bringen, weil sie es spannend finden und nicht nur gerne irgendwie einen Task abarbeiten. Das heißt, du brauchst auch in deiner ganzen Rekrutierung du Menschen, die Projektmanagement lieben. Die, die sehen, was da draußen passiert, die gleichzeitig Regulatorik verstehen und gleichzeitig aber auch gerne unterstützen in den Communities, mit Projekten. Und bisher haben wir in den Unternehmen diese Verantwortung überall verteilt. Da stelle ich mal einen ein, der für Diversity verantwortlich ist. Dann habe ich mal einen eingestellt, der für Nachhaltigkeit verantwortlich ist. Jetzt kommt der CFO und sagt: Oh, wow, das ist alles. Da muss ich Nachhaltigkeitsberichterstattung machen, Das muss alles bei mir sein. Und das ist eben Käse. Es muss in der Geschäftsleitung verankert sein, es muss in der Strategie verankert sein. Und ich muss vom Kunden, von den Mitarbeitenden und von meinen Lieferketten her denken. Und dann muss ich einen Komplexitätsgrad aufbauen, den vielleicht nicht jeder versteht. Und dann muss ich es aber noch so kommunizieren, dass jeder im Unternehmen das cool findet. Ich möchte mitmachen. Ja, also beim Klimawandel. Ich möchte dabei sein, Paper kreieren. Ich möchte meinen Dienstwagen abgeben und ein Fahrrad haben und und und. Die ganzen einzelnen Beiträge, die jeder einzelne leisten kann, müssen dann kommuniziert werden und dann eine Energie freigesetzt werden. Dann hast du wirklich ein Unternehmen, das nachhaltig gesund wachsen will. Der Vertrieb muss mit seinen Kunden reden über: Was macht ihr eigentlich? Ja, das kommt noch als nächstes. Also die ganzen Finanzinstitute müssen ihr Portfolio CO2 neutral haben. Sie haben sich Ziele gesetzt und werden die Kredite zukünftig nur vergeben an Unternehmen, die mitdenken in diesem Spiel. Spiel ist nicht das richtige Wort in dieser Transformation.

Simon: Okay, alles klar.

Anna-Cristina: Du brauchst ein Team, das das versteht, das die ganzen ESG-Transformationsthemen versteht und die Strategie des Unternehmens unterstützt. Dann bist du erfolgreich. Weil je näher du bei deinen Kunden, je näher du bei deinen Mitarbeitenden, bei deinen Lieferketten bist, desto flexibler und resilienter bist du.

Jörg: Hast du den Eindruck, dass sich jüngere Unternehmen, Startups da leichter tun, weil sie aus der Generation heraus vielleicht Diversität mehr leben, als es vielleicht die ältere Generation je tun könnte?

Anna-Cristina: Die Antwort ist nicht leicht. Es gibt eine ganze Welle an Startups, die sich zu Nachhaltigkeit jetzt schon aufstellen, die beraten usw. Das ist schon mal gut. Aber ich habe auch Startups gesehen, die absolut nicht divers sind und wir wissen, wie das Kapital gelenkt wird. Also ich habe ja so eine Plattform gegründet mit ein paar sehr tollen Frauen, die nennt sich Encourage Ventures. Das sind Business Angels Linien, die in weiblich oder divers geführte Unternehmen investieren. Aus dem Grund heraus, dass wir gesehen haben, dass die weniger Kapital kriegen vom Kapitalmarkt. Das heißt, wir haben einmal im Monat eine Pitch Night, wo sich wirklich divers aufgestellte Founderteams vorstellen, und konzentrieren uns darauf, unser Geld da auch hinzugeben. Also zu sagen, dass die neue Generation alleine das schon intrinsisch motiviert richtet, weiß ich nicht. Solange diejenigen, die das Kapital vergeben, noch nicht intrinsisch motiviert sind, ist es noch schwierig. Also es gibt tolle Startups, die schon so aufgestellt sind und trotzdem. Es ist eine schwierige Antwort wieder mal, weil viele haben zu mir gesagt, als ich angefangen habe: Deine Kollegen von der Uni oder die, die mit dir arbeiten, die sind doch alle schon offen. Und das war nicht so. Wenn es z. B. dann darum geht, Familie zu gründen, da waren viele davon überzeugt, dass es doch besser wäre, wenn die Frauen zu Hause bleiben würden. Und wir haben ja unsere Spiegelneuronen in unserem Hirn, das kennt ihr ja alles. Wir kopieren Rollenbilder, die wir gesehen haben, wie wir groß geworden sind. Die nicht mehr automatisch zu kopieren, weil man was anderes sehen will, das dauert einfach viel zu lange und ist auch nicht effektiv. Also wir müssen schon noch mal ein bisschen lauter sein und sagen, das hat auch eine Organisationsentwicklungskomponente, es hat eine regulatorische Komponente, wir müssen ein bisschen disruptiv sein, was Vielfalt und Inklusion anbelangt.

Jörg: Was ist denn das nächste Thema, das dich bewegt, was auf deiner Agenda steht? Oder bist du schon gut ausgelastet mit dem, was du ohnehin schon machst?

Anna-Cristina: Wir haben im Vorgespräch einmal darüber geredet, ob man ab und zu mal sagt, okay, man muss sich wieder neu erfinden. Und ich glaube, ich gehöre zu den Menschen, die sich immer wieder gerne neu erfinden. Nach der Konzernkarriere habe ich, wie gesagt, diese Investorenrolle und Unternehmensberaterin Rolle aufgenommen und das Thema Charta der Vielfalt weitergemacht. Das werde ich sicher demnächst mal abgeben, weil nach zehn Jahren Vorstandsvorsitzender darf das jetzt gerne auch eine neue Generation machen und weitertreiben. Und deshalb konzentriere ich mich im Moment wirklich auf das Thema Social Impact, weil ich glaube, da ist ein ganzes Thema, was auf uns zurollt als Wirtschaft, was noch nicht besetzt ist, wo jeder sich so fragt, was passiert denn da jetzt eigentlich? Ja, wie komme ich von “Ich spende doch für die Ukraine oder für die Türkei” in diese strategische Setzung, dass ich es richtig mache und dass es meine Mitarbeitenden und meine Kunden motiviert und ich gleichzeitig jemanden unterstützen kann. Das funktioniert, wenn man es richtig denkt und wenn man es richtig strategisch verankert. Und wenn man dann noch ein Impact Scoring drauf setzt und das ist mein Thema aktuell. Bin ich nur compliant oder bin ich best in class? So soll es auch beim Impact Scoring sein, finde ich. Also wenn du die SDG Goals nimmst und strategisch verankerst, dann machst du das aus Compliance-Gründen. Ich finde, die besten Unternehmen müssen best in class sein und dann müssen sie sich vornehmen, mit ihren Investitionen in Social Impact auch wirklich einen Impact zu haben und das scoren zu können.

Und deshalb träume ich davon, einen Impact Score zu entwickeln. Der soll eine Vergleichbarkeit von der sozialen Verantwortung der Unternehmen darstellen und das wiederum auch transparent machen. Also wenn man früher im Shareholder Value von Kostenquoten und Wachstum und Profitabilität geredet hat und dann ein bisschen NPS, also Net Promoter Score, Kundenzufriedenheit und Mitarbeiterzufriedenheit dazugenommen hat in seiner Berichterstattung, dann sollte auch der Impact Score noch dazugehören. Also ein ganz neues Thema.

Jörg: Ich merke einfach, du liebst Komplexität, du umarmst sie förmlich.

Simon: Das ist ja wirklich so spannend. Ich habe eine Zeit lang versucht, Qualitätsmanagement in der Sozialen Arbeit zu vermitteln. Da ist nämlich genau das Problem sehr stark. Was ist denn Erfolg in der Sozialen Arbeit, in der Pflege? Jemanden zu Tode pflegen? Wie kann man das erfolgreich machen? Und genau das ist so ein Punkt, den kann man teilweise nur emotional beantworten. Und das zu machen, widerspricht natürlich eigentlich allem, was wir lernen, also im Scoring. Dass wir das einbringen, finde ich super spannend. Ich glaube, da ist viel Zukunft drin.

Anna-Cristina: Ja, und es ist ja auch gar nicht so qualitativ. Wenn ich zeige, dass ich meine Verantwortung übernehme, dann bin ich auf der einen Seite gegenüber den Ratingagenturen aussagefähig, mit einem vernünftigen Scoring und Quantifizierung meines Investments. Ich bin gegenüber meinen Finanzierungsinstituten aussagefähig. Ich habe einen Attraktivitätsschub in meiner Employer Brand. Was die zukünftige Generation will, ist ein verantwortliches Unternehmen. Also da gibt es Studien noch und nöcher. Die gucken auch nach der sozialen Verantwortung und ich bin auch ganz nah bei meinen Lieferketten, wenn ich es vernünftig mache. Wenn ich importiere aus bestimmten Märkten, dann sollte ich mir diese Märkte regional aussuchen, wo ich meine Verantwortung übernehme mit meinen Zulieferern zusammen. Und meine Kunden lieben meine Produkte auch mehr. So gibt es auch Studien noch und nöcher, dass es nicht nur um umweltfreundlich, also nicht nur CO2 neutral, sondern um CO2 positiv geht, dass ein Unternehmen also darüber hinaus auch soziale Verantwortung übernimmt. Und wir wissen, was wir für riesen Herausforderungen haben, die wir im Moment durch die Politik auch nicht wirklich alle beantwortet kriegen. Und da muss die Wirtschaft auch ihren Teil übernehmen, weil sie einfach daran interessiert ist, dass wir in stabilen Verhältnissen leben. Und jetzt kommt das nächste Thema: die geopolitischen Risiken, die neuen Flüchtlingsströme, die Spaltung von Arm und Reich. Kein Wirtschaftsunternehmen möchte in einem instabilen Umfeld produzieren und verkaufen und Arbeitnehmende suchen. Und deshalb haben die auch ein Interesse daran, diese Stabilität mit zu kreieren. Und die Mitarbeitenden fordern das. Also auch darüber gibt es ja Studien. Wir wollen, dass unsere Führungskräfte aufstehen und Verantwortung übernehmen in instabilen Zeiten. Keiner will Populismus. Die Ausgrenzung. Keiner will das.

Die Stimmen der Populisten sind einfach so viel lauter als die der Mehrheitsgesellschaft. Und insofern sind einige von uns gefordert, in der Mehrheitsgesellschaft auch laut zu sein.

Jörg: Das ist ein sehr schönes Schlusswort. Es hat wirklich sehr, sehr viel Spaß gemacht. Was mir unglaublich gut gefällt, ist: Innovation entsteht durch Zuhören. Ganz lieben Dank an Christina. 

Anna-Cristina: Bis bald. Danke. Ciao.

 

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vom 02.06.2023 / © VonVorteil